Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit und eine neue Sachlichkeit im Miteinander
Schon während meines Studiums der Politikwissenschaften führten wir in Seminaren gern und immer wieder teils hitzige Diskussionen darüber, wie es immer schwerer scheint, mit sachorientierter Politik erfolgreich zu sein – wie die Vereinfacher und Personalisierer überhand gewinnen und in Zukunft Wahlen eher Schönheitswettbewerbe als Abstimmungen über Ideen und politische Inhalte sind. Seit meinem Abschluss ist viel Zeit vergangen, die Welt hat sich weitergedreht und mensch könnte den Eindruck gewinnen, damalige Vorhersagen sind nicht nur ein- sondern werden jeden Tag neu übertroffen.
Tea Party, Pegida, rechtspopulistische bis –nationalistische Parteien aber eben auch Attac & Occupy; Trump, Gauland, Palmer oder Wagenknecht – die Liste derer, die mit einfachen Wahrheiten scheinbar erfolgreich punkten wird gefühlt jeden Tag länger und ist bei weitem kein Alleinstellungsmerkmal der Rechten. Was sie alle eint ist der feste Glaube, als Einzige genau zu wissen, was die Wahrheit ist – immer und überall. Wer nicht der eigenen Meinung ist wird dem entsprechend umgehend zum Ignoranten, Dummkopf oder „Ungläubigen“ deklariert – um bei ein paar noch eher harmlosen Begriffen zu bleiben.
Das verächtliche Reduzieren von AfD-Wählern auf ungebildete, abgehängte ist leider nur ein aktuelles Beispiel, wie schnell solche „einfachen Erklärungen“ den Blick aufs Wesentliche vernebeln und leider eben nicht zur Lösung beitragen. Es ist nicht Dummheit per se, die Menschen in die Arme der (Rechts-) Populisten treibt. Es ist der um sich greifende Egoismus der Menschen, denen nur der eigene Vorteil wichtig ist und die gegen alles kämpfen werden, dass ihnen real oder gefühlt eigene Pfründe streitig machen könnte – und da ist „das Andere“ in beliebiger Form eine hervorragende Projektionsfläche.
Auch ich bin nicht frei davon. Natürlich bin ich von meinen eigenen Ideen und Meinungen überzeugt und gern dabei, mit anderen zu diskutieren, diese auf „meine Seite“ zu ziehen. Und mit Sicherheit gehen auch mir gelegentlich die Pferde durch. Und doch war Teil meiner Erziehung auch und vor allem, anderen zuzuhören, mein Gegenüber als Person zu schätzen – auch und vielleicht sogar besonders, wenn wir nicht einer Meinung sind. Zu meiner aktiven politischen Zeit bin ich gelegentlich dafür kritisiert worden, gern mal mit politischen „Gegnern“ Bier trinken zu gehen – ich bin bis heute stolz darauf, dass wir das konnten! Und seit dieser Zeit habe ich auch im professionellen Umfeld immer wieder aufs Neue gelernt, dass es selten nur eine „richtige“ Antwort auf Herausforderungen gibt, sondern verschiedene unterschiedliche Herangehensweisen – meist keine davon perfekt, sondern immer mit Pro und Kontra verbunden. Insbesondere als Chef lernt mensch schnell, dass Lösungen der Mitarbeiter nicht falsch sind, nur, weil ich es selbst vielleicht anders gemacht hätte. Im Gegenteil: Meinen Mitarbeitern und Kollegen zu vertrauen und zu wissen, dass sie in spezifischen Fragen vermutlich sogar mehr Erfahrung haben als ich, war immer wieder Kern des Erfolgs als Team. Warum also, frage ich mich seit geraumer Zeit, scheint uns diese Fähigkeit des sachlichen Miteinanders so selbstverständlich im beruflichen Leben und doch gleichzeitig immer schwerer im gesellschaftlichen Umgang?
Als jemand, der in der Wendezeit 1989/90 politisch sozialisiert wurde muss ich zwangsläufig immer wieder an das eine Zitat von Rosa Luxemburg denken, dass so oft verwendet und leider viel zu oft auch durch Verkürzung oder falschen Kontext missbraucht wurde: „Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden!“ Ich werde mich jetzt nicht zum Luxemburg-Versteher aufschwingen – versuche ja gerade absolute Wahrheiten zu bekämpfen. Mein Verständnis dieses Kernmotivs von Rosa war immer, dass Freiheit des Einzelnen nie auf Kosten der Gemeinschaft aber eben auch nicht auf Kosten anderer Einzelner basieren darf weil sie sonst keine echte Freiheit ist. Dass dies einen permanenten Konflikt darstellt stelle ich hier einfach mal fest ohne es weiter auszudiskutieren. Was heißt das im Praktischen? Egozentrische Lebensweisen, die vermeintlich „niemandem schaden“ aber eben nur auf Kosten anderer überhaupt möglich sind, entsprechen diesem Freiheitsverständnis genauso wenig wie die Idee einer vollkommenen Gleichschaltung und Unterordnung unter eine wie auch immer definierte Idee. Individualismus, der ignoriert, dass wir alle Teil einer Gemeinschaft sind und diese nur funktioniert wenn wir angemessen dazu beitragen ist genauso freiheitsbedrohend wie die Versuche, real existierende Probleme der Gesellschaft für alle gleich (kollektiv) zu beantworten. Praktisches Beispiel? Sich darüber aufzuregen, dass Rauchverbote die individuelle Freiheit einschränken und dabei vergessen, dass andere Menschen vielleicht eben nicht gezwungen werden wollen, unfreiwillig mitzurauchen erscheint zumindest mir ein gutes und leider sehr reales Alltags-Beispiel, wie das eigene Ego klar der Wertschätzung anderer Mitmenschen vorgezogen und diese damit in Ihrer Freiheit (der selbstbestimmten Lebensweise) eingeschränkt werden. Echte Freiheit in diesem Sinne bedeutet auch und ganz besonders zu verstehen und zu akzeptieren, dass alle (!!!) gleichermaßen das Recht haben, zu sagen und zu denken was sie für richtig halten – egal wie falsch es uns erscheint! Das Fehlverständnis von politischer Korrektheit ist es, wir könnten oder sollten als Gemeinschaft vorschreiben, was erlaubt ist zu denken und zu sagen. Das Fehlverständnis von Meinungsfreiheit auf der anderen Seite scheint zu sein, Gesagtes muss immer und überall unwidersprochen hingenommen werden. Ersteres finde ich fatal – es kann und darf nicht darum gehen, Gedanken zu verbieten. Vielmehr war doch das Ziel ursprünglich, eine Sprache zu finden, offen Dinge anzusprechen und auszudiskutieren ohne dabei Menschen als Individuum (oder Gruppe) zu verletzen. – offen und direkt in der Sache, wertschätzend gegenüber der Person. Zweiteres erscheint mir bezeichnend für die typisch egozentrische Haltung so vieler, die sich in der (Opfer)Rolle des Andersdenkenden suhlen – Was ist das für eine Meinungsfreiheit, wenn diese nur für mich gilt und nicht auch für mein gegenüber?
Die Idee der Demokratie ist für mich persönlich nicht nur notwendiges Übel – solidarisch, selbstbestimmt und demokratisch sind kein Widerspruch sondern bedingen einander wenn ich nicht nur für mein eigenes Wohl interessiere sondern verstehe, dass wir alle Teile einer Gemeinschaft sind – ob wir nun wollen oder nicht. Entsprechend bin ich über die zunehmend auftretende offene Demokratiefeindlichkeit in Teilen der Bevölkerung mehr als nur erschrocken.
Ja, Demokratie ist anstrengend!
Mensch muss jeden Tag aufs Neue Ideen entwickeln und kann sich in einer ständig ändernden Welt nicht mit einmal gefunden Antworten zufrieden geben. Ich bin mir sicher, Marx wäre heute auch zu anderen Lösungen gekommen – das stellt die analytische Kapazität und die im historischen Kontext nachvollziehbaren Ableitungen nicht in Frage sondern zeigt, dass auswendig Zitieren aus welcher Bibel auch immer nie mit realer Problembewältigung zu tun hat sondern nur funktioniert, wenn ich die Realität bewusst ignoriere.
Mensch muss jeden Tag aufs Neue bereit sein, für die eigenen Ideen und Überzeugungen zu streiten, dafür einzustehen, Argumente finden. Und gleichzeitig in der Lage sein, zuzuhören, vom Gegenüber zu lernen, auf diesen einzugehen. Konversation geht nur gemeinsam – sonst ist es halt nen Monolog.
Und weil wir Teil einer Gemeinschaft sind heißt Demokratie eben auch und ganz besonders zu akzeptieren dass am Ende Mehrheiten notwendig sind für Entscheidungen. In einer Zeit, wo im politischen Raum selbst „Kompromiss“ schon zu einem Kampfbegriff geworden zu sein scheint, ist das offensichtlich keine Selbstverständlichkeit mehr. Gemeinsamkeiten zu suchen erscheint immer schwieriger und in einer sich weiter ausdifferenzierenden und segmentierenden Gesellschaft ist es das wohl auch. Aber was ist denn die Alternative dazu, sachbezogen immer wieder neu Koalitionen der Interessen zu bilden um Dinge voranzutreiben?
Und weil wir Teil einer Gemeinschaft sind und vermutlich nicht immer zur Mehrheit gehören werden heißt Demokratie letztlich auch, Entscheidungen zu akzeptieren und anzuerkennen wenn sie fair und demokratisch und im Rahmen gesetzlicher Vorgaben zustande kamen (also notwendiger Minderheitenschutz gewahrt ist wo notwendig).
Ich persönlich träume weiterhin von einer Welt, in der wieder für Ideen (manche nennen es verbrämt Ideologien) gestritten wird – nicht gegen Personen, Gruppen, Klischees und Vorurteile. Eine Welt, in der konstruktive Konzepte vorgestellt, abgewogen, gern auch auseinander genommen werden um dann gemeinsam zu entscheiden, was davon am sinnvollsten erscheint und umgesetzt wird. Eine Welt, in der das Gemeinsame gesucht wird, statt sich auf Einzelinteressen zu kaprizieren. Ich möchte so gern wieder mal positive Geschichten hören – Visionen, wie es vorangehen kann statt immer nur, was der jeweils andere gerade wieder alles komplett falsch macht. Bin ich damit aktuell ganz allein und jenseits jeder Realität oder gibt es sowas noch?
Hat dies auf Tomatenfisch gibt seine Gedanken zum Besten. rebloggt und kommentierte:
Vor einem Jahr geschrieben. Heute mindestens genauso wahr. Leider. #Throwback #Sunday