Erklärung und erstes Resümee
Vor einigen Monaten bin ich bei den Grünen eingetreten. Um genau zu sein – und ohne Absicht – just an dem Tag, an dem spätnachts dann die Jamaika-Sondierungen abgebrochen wurden.
Menschen, die mich kennen, mögen von diesem Schritt überrascht gewesen sein – Menschen, mit denen ich in letzter Zeit Gelegenheit zum Austausch hatte, vermutlich nicht – und wer diesen Blog und meine Serie zur Bundestagswahl verfolgt hat, umso weniger.
Warum Grün?
- Weil ich an Gemeinschaft glaube. Viel zu lang habe ich an der Seitenlinie gestanden, mich darauf beschränkt, die Spieler auf dem Feld genau zu beobachten und meine Bewertung abzugeben. Viel zu lang fielen mir immer wieder gute Gründe ein, nicht wieder selbst mitzumachen. Ich glaube an die Idee einer Gesellschaft, in der die Bürger frei und selbstbestimmt entscheiden können, wie das Gemeinwesen am besten funktioniert – fair und solidarisch miteinander und vor allem eben gemeinsam. Das geht nur, wenn möglichst viele auch mitmachen.
- Weil ich politisch bin, immer war und wohl immer bleiben werde. Für mich ist „Politik“ kein Kampfbegriff oder gar Schimpfwort, wie für so viele Menschen heute. Wenn eine Gemeinschaft funktionieren soll, ist dafür ein organisierter und möglichst transparenter Aushandlungsprozess notwendig, inklusive des Verständnisses, dass unterschiedliche Interessen ausgeglichen und Entscheidungen demokratisch getroffen werden – in der Regel in Form von Kompromissen. Das strengt an, erscheint oft auch redundant, ist – so müssen wir aktuell feststellen – nicht immun gegen Menschen, die die Grundwerte der demokratischen Gesellschaft nicht teilen, sondern missbrauchen und muss auch deshalb immer wieder aufs Neue verteidigt werden.
- Weil ich will, dass die Welt besser wird – und weiß, dass sie sich dafür verändern muss. Nicht für mich – für alle! Ich könnte mir mein Leben sehr einfach machen: Männlicher, weißer Europäer, schwul, glücklich verheiratet, gutes Einkommen – persönlich gehöre ich aktuell definitiv nicht zu den Benachteiligten der Welt. Über die Zukunft meiner Nachkommen muss ich mir keine Gedanken machen. Tiere sind mir relativ egal. Und Bäume im Prinzip auch. Und doch will ich, dass auch nach mir noch Menschen die Möglichkeit haben, sorgenfrei aufzuwachsen. Ich will nicht, dass die Menschheit sich wahlweise im nächsten „großen Krieg“ komplett auslöscht oder auf einer Erde zugrunde geht, die nach Star-Trek-Kategorien nicht mehr als bewohnbar gilt. Ich verstehe den Zusammenhang von unserem eigenen längst nur noch unanständigen Wohlstand in der westlichen Welt, der Klimakrise, immer neuen Kriegen um Ressourcen, den weiterwachsenden Flüchtlingsströmen.
- Weil ich Idealist bin – ich will, dass es allen Menschen gleichermaßen gut geht, sie selbstbestimmt als Individuum leben können wie sie es für sich am besten finden – egal, in welchen Teil der Erde sie geboren wurden und mit welchen „Merkmalen“ sie ausgestattet wurden! Und weil ich Realist bin – diese Welt fällt nicht einfach vom Himmel, Gebete helfen dafür genauso wenig wie das Warten auf die Revolution. Wenn wir nicht jeden Tag unseren eigenen Beitrag dazu leisten wird es nicht passieren. Wenn wir immer nur auf die anderen verweisen, uns gegenseitig gemachte Fehler vor die Nase halten und ausschließlich eigene Privilegien mit Händen und Klauen verteidigen wird das Ergebnis am Ende für alle „Nichts“ sein.
Okay, mag sich die Eine oder der Andere vielleicht fragen, warum dann nicht (wieder) bei den Linken mitmachen? Eine ausführliche Antwort, die dem Prozess vollumfänglich gerecht wird, behalte ich mir für einen separaten Text vor. Kurzversion: Wir haben uns final auseinandergelebt. Viele liebe Freunde in der Linkspartei schätze ich sehr und wünsche Ihnen ehrlichen Herzens maximalen Erfolg. Ich persönlich habe die Hoffnung aufgegeben, dass die sehr wohl vorhandenen positiven Kräfte und Entwicklungen eine reale Chance haben, sich in der Gesamtpartei doch noch nachhaltig durchsetzen werden.
Nun sind auch die Grünen insgesamt ein eher ambivalenter Laden und stecken in einer interessanten Sortierungsphase, wo noch lange nicht final ist, welche Richtung das Ganze nehmen wird. Koalitionen mit den Konservativen, Sondierungen zu Jamaika, eine scheinbare Übernahme durch die Realos. Von linker Seite wird mittlerweile ja gern in Frage gestellt, dass die Grünen noch ins linksprogressive Lager gehören würden. Für die Partei, die ich – nicht erst seit Eintritt – kennengelernt habe und kennenlerne kann ich guten Gewissens sagen, dass ich da keinerlei Zweifel habe. Es gibt einen klaren, nach vorne ausgerichteten Wertekanon, klare Vorstellungen wohin sich Gesellschaft entwickeln soll und wie Gemeinschaft im 21. Jahrhundert funktionieren kann ohne die Selbstbestimmung des Individuums in all der wunderbaren Diversität realen Lebens in Frage zu stellen. Es wird in der Tat viel und ausführlich gestritten, wie viel und wie schnell im Einzelnen umzusetzen ist – für mich selbstverständlich in einer lebendigen Demokratie. Und ja, mensch ist auch bereit, selbst in schwierigen Konstellationen Verantwortung zu übernehmen, wenn „natürliche“ Partnerschaften objektiv nicht möglich oder gewollt sind und die Chance besteht so zumindest etwas in die richtige Richtung zu wirken. Das finde ich ehrlicher als all das „mensch-müsste-mal-mensch-könnte-mal“-Geschwafel anderer Parteien, die sich dann sofort davonmachen, wenn es ernst wird.
Lustig finde ich die Diskussion um die Rolle des „linken Flügels“. Einerseits lerne ich zunehmend, dass auch dieser Flügel ganz offensichtlich keine homogene Gruppe ist, sondern eher ein vager Sammelbegriff und damit das Außenbild einer „Strömung“ nicht sehr präzise ist. Und andererseits amüsiert es mich, wie in fast schon folkloristischer Art Menschen in Lager sortiert werden – meist selbstbestimmt oder sonst auch gern „der Form halber“. Wer mir jemals erklären wollte, was die eine „wahre“ Definition von Linkssein wäre, die/den habe ich früher nicht ernst genommen und werde dies auch weiter so beibehalten. Marx zitieren können reicht mir jedenfalls nicht. An den Taten sollt Ihr sie erkennen, nicht an ihren Worten. Insofern bin ich auch völlig im Gleichgewicht mit Robert und Annalena als Bundesvorsitzende und gestehe Ihnen das Recht zu, jetzt zu zeigen, dass sie die Partei im positiven Sinne vorwärts bringen können.
Wenn mich etwas irritiert dann am ehesten, wie erwachsen, wie brav und „professionell“ diese Partei geworden ist. Ein bisschen mehr Rebellentum, Verrücktheit und Mut zum Anderssein wünsche ich den Grünen schon, wieder weniger Anzug und mehr Turnschuhe und Pullover, weniger Hochglanz und mehr Punk – nicht als Pose, sondern als Teil der DNA.
Bisher erlebe ich eine Partei, die aktiv mit sich ringt und habe sehr viel Lust, mich und meine Ideen entsprechend einzubringen. Dass das immer einfach wird erwarte ich nicht. Dazu kenne ich politische Mechanismen viel zu lang und weiß, wie irrational handelnde Personen im Einzelfall immer wieder agieren. Und dass ich mit meiner Einstellung auch mal anecken werde ist mir genauso klar. Das war früher auch nicht anders. Damals war ich ein Grüner bei den Roten, jetzt halt nen Roter bei den Grünen. Dafür gibt es bei den Grünen aber auch genug Raum, ohne dass mensch gleich ins Abseits gestellt wird.
Wir leben in spannenden Zeiten. Soziale und gesellschaftliche Errungenschaften der letzten Jahrzehnte/Jahrhunderte werden jeden Tag aufs Neue in Frage gestellt und müssen verteidigt werden. Gleichzeitig verlangt vor allem der technologische Wandel neue, andere Antworten auf viele alte Fragen bei denen Schriften aus dem 19. Jahrhundert nur noch wenig weiterhelfen werden. Die Grünen behaupten nicht, dass sie fertige Konzepte für alles haben – das würde ich eh niemandem abnehmen. Doch sie stellen die richtigen Fragen und sind bereit, sich damit auseinanderzusetzen und nach bestmöglichen Lösungen zu suchen. Dabei möchte ich mithelfen. Darum bin ich jetzt wieder Parteimitglied. Und darum diesmal Grün.