10 Gedanken zum Grundsatzprogrammentwurf

[Update: 1.7.2020] Jens Christoph Parker, Sprecher BAG Queer und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaften mit einer ersten persönlichen Bewertung des vorgelegten Entwurfs zum neuen #Grundsatzprogramm der #Grünen
[Jetzt mit Änderungsvorschlägen in Beteiligungsgrün]

Ich freue mich außerordentlich, dass wir Grüne in einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels, in der vieles in Frage gestellt scheint, unsere grüne Werte erneuern, dadurch bekräftigen und damit einen urdemokratischen Impuls in unsere Gesellschaft hineintragen können.

Der Weg bis hier war bereits intensiv, spannend und lang – Zwischenbericht, Debattenbeiträge, Grundsatzakademie, Länderforen und viele weitere Veranstaltungen. Meine Erwartungen waren entsprechend hoch. Nachdem ich den Text die ersten zwei/dreimal gelesen habe, möchte ich gerne ein paar Gedanken teilen.

  • Eine Gesellschaft in der Aliens landeten

In einem Debattenbeitrag habe ich bereits ausgeführt, dass meiner Meinung nach Formulierungen in die Richtung “in den letzten Jahrzehnten ist die Gesellschaft vielfältiger geworden“ aus mehreren Gründen ungeschickt sind.

Zunächst sind sie meiner Meinung nach fachlich falsch, da u.a. Menschen mit Behinderung, nicht heterosexuelle Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund oder einem anderen Glauben auch vorher bereits in unserer Gesellschaft existierten. Sie hatten bloß aufgrund der damals noch stärkeren Marginalisierung keine Stimme, fanden kein Gehör.

Außerdem suggeriert es, dass wir das Grundsatzprogramm aus der Perspektive von Menschen schreiben, die bereits vor den letzten Jahrzehnten eine Stimme hatten. Ansonsten würde es uns ja nicht auffallen, dass diese Menschen angeblich neu da sind. Es offenbart also auch bei uns Grünen eine hegemoniale Brille – und die steht uns nicht.

Daher würde ich vorschlagen folgende Formulierungen zu nutzen: „Menschen und Milieus sind gleichberechtigter und freier geworden“ und “In einer Gesellschaft, in der sich endlich vielfältige Stimmen mehr Gehör verschaffen“ geraten Interessen zunehmend in Spannung“.

Siehst du genau so? Dann unterstütze doch bitte meinen Änderungsvorschlag in Beteiligungsgrün. Vielen Dank!

  • Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch

Ein Satz wie ein Ausrufezeichen. Mir ist klar, dass es in verschiedenen Foren Debatten um diesen Satz gab. Ich freue mich aber sehr, dass er unverändert im Entwurf steht. Für mich ist dieser Satz ein starkes Versprechen alle Politik von Menschen her zu denken. Auch ist es eine klare Kampfansage gegen alle politischen Kräfte, alle Menschenfeinde, die unsere Grundrechte und unsere Demokratie angreifen. Lasst uns diesen kraftvollen Satz auch so beschließen. Ich kann dafür nur herzlich werben.

  • Inklusives Verständnis von Familie

Ein Herzensthema von mir ist ein inklusives Verständnis von Familie. Daher hat mich der Paragraf 170 enorm gefreut „Familie ist da, wo Menschen mit dem Ziel der Dauerhaftigkeit Verantwortung füreinander übernehmen, sich umeinander kümmern und füreinander da sind“. Auch die daraus abgeleitete Positionierung „Alle Formen sollen rechtlich und sozial absichert sein“, ist für die Lebensrealität vieler Menschen enorm wichtig. Ich hoffe, dass viele sich in dieser Formulierung wiederfinden können und wir ein derart inklusives Familienverständnis in unser Grundsatzprogramm einbringen können.

  • Freiheit muss gesellschaftlich aktiv ermöglicht werden

Im Zwischenbericht klang es für mich noch, dass wir als Grüne zukünftig eher unsere Aufgabe darin sehen zwischen den verschiedenen Perspektiven zu moderieren. Ich finds großartig, dass wir durch den Paragrafen 26 klar formulieren, dass Freiheit aktiv ermöglicht werden muss und wir daher eine klare Haltung in Fragen haben, bei denen es heißt, allen Menschen ihre Grundrechte und Freiheiten zu ermöglichen.

  • Potential der Digitalisierung

Als ein Mensch, der im WWW zu Hause ist, freut mich es enorm, dass wir im Paragraf 145 das Potential der Digitalisierung formulieren. Grundsätzlich finde ich, dass uns in diesem Entwurf ein bessere Balance gelungen ist die Chancen aufzuzeigen, die wir nutzen wollen, aber auch gleichzeitig die entsprechenden Risiken und Regulierungsbedarfe zu nennen. Chapeau!

  • Umweltschädliche und klimaschädliche Subventionen beenden

Bei dem Paragraf 82 musste ich zugegebener Maßen ein wenig schmunzeln. Als Kommentar habe ich daneben geschrieben “What?!“. Fordern wir in Paragraf 79 noch richtigerweise „Je schneller und und verlässlicher der notwendige Umbau weg von den Fossilen angegangen wird, umso besser können abrupte Veränderungen vermieden werden“, sollten im Paragraf 82 umwelt- und klimaschädliche Subventionen nur noch abgebaut werden. Es ist unser grünes Grundsatzprogramm. Können wir hier bitte klar sagen, dass umwelt- und klimaschädliche Subventionen beendet werden müssen?

Ich weiß, dass sich gewisse Menschen an umwelt- und klimaschädliche Subventionen gewöhnt haben, aber ich glaube, dass es ehrlich ist hier ganz klar anzukündigen, dass der aktuelle Status quo beendet gehört, wenn wir unseren Planeten und unsere Zivilisation erhalten wollen.

Siehst du genau so? Dann unterstütze doch bitte meinen Änderungsvorschlag in Beteiligungsgrün. Vielen Dank!

  • Infrastruktur ist öffentliche Aufgabe

Ich würde vorschlagen, dass wir Paragraf 128 auf Infrastruktur ist öffentliche Aufgabe kürzen. Falls mir irgendwer eine Private-Public-Partnership präsentieren kann, in dessen Rahmen weniger Kosten bei gleichem Mehrwert für die Steuerzahler*innen ergeben haben, revidiere ich gerne meine Positionen. Solange das nicht der Fall ist, ist für mich Satz 2 Science-Fiction und gehört nicht in unser Grundsatzprogramm.

Siehst du genau so? Dann unterstütze doch bitte meinen Änderungsvorschlag in Beteiligungsgrün. Vielen Dank!

  • Föderale Europäische Republik

Bereits im Zwischenbericht fand ich es ein starkes Signal, dass wir uns klar zur Föderalen Europäischen Republik bekennen. Als Mitglied der JEF und der Europäischen Bewegung finde ich großartig, dass diese Position es jetzt auch in den ersten Entwurf geschafft hat. Mir ist bewusst, dass auch hierüber in verschiedenen Foren diskutiert wurde und nicht alle bereits überzeugt sind. Alle Menschen, die hier vielleicht noch Bedenken haben, kann ich nur dazu einladen die weiteren Positionierungen und Argumente u.a. der BAG Europa, aber auch beispielsweise der JEF zu lesen und sich für diese meiner Meinung nach derart zentrale politische Projekt begeistern zu lassen.

  • Wo ist der Humanismus?

Die Paragrafen 185, 186 und 187 finde ich wichtig und richtig. Ich finde es aber schade, dass die Lebensrealität von Agnostiker*innen, Humanist*innen und die Weltanschauung aller weiteren Menschen ohne Religionszugehörigkeit keinen Einfluss in den Grundsatzprogrammentwurf gefunden hat. Hier würde ich mich freuen, wenn wir einen zusätzlichen Paragraf 186 Neu formulieren können. Ich helfe bei einer potentiellen Formulierung auf jeden Fall gerne mit und ich hoffe, dass die BAG Säkularen ebenfalls mitmacht.

  • Keine Erwerbsarbeit für diverse Menschen?

Grundsätzlich freut es mich enorm, dass wir durch den ganzen Entwurf durchziehen, dass Geschlechtervielfalt existiert. Kurioserweise weichen wir nur im Paragrafen 277 davon ab und wollen Erwerbsarbeit gerecht zwischen Männern und Frauen verteilen. Wenn das aus einer Überlegung geschrieben ist, dass Menschen mit dem Geschlechtseintrag divers bereit genug Stress haben und wir sie auch nicht noch mit Erwerbsarbeit belasten wollen, kann ich dafür Sympathie entwickeln. Falls das aber nicht der Fall war, fände ich es aber auch super, wenn wir hier eine Formulierung finden, die in der Geschlechterfrage inklusiv ist.

Siehst du genau so? Dann unterstütze doch bitte meinen Änderungsvorschlag in Beteiligungsgrün. Vielen Dank!

Ich freue ich mich auf den weiteren gemeinsamen partizipativen Weg, bis wir auf der nächsten Bundesdelegiertenkonferenz diesen wichtigen Prozess zum Abschluss bringen können. Packen wir es an.

Übersicht Änderungsvorschläge in Beteiligungsgrün

Änderungsvorschlag: Keine Gesellschaft in der Aliens landeten

Änderungsvorschlag: Klimaschädliche Subventionen beenden.

Änderungsvorschlag: Infrastruktur ist eine öffentliche Aufgabe.

Änderungsvorschlag: Humanismus – mehr kommt von der BAG Säkulare.

Änderungsvorschlag: Erwerbsarbeit für diverse Menschen und alle Geschlechter

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