Ich bin kein Mitglied einer der drei Parteien. Ich bin aktuell Mitglied gar keiner Partei. Aus Gründen. Wäre ich es, und hätte ich aktuell das Recht darüber mit zu entscheiden, ich würde klar „Ja“ sagen zum aus-verhandelten Koalitionsvertrag von SPD, Linken und Grünen.
Nein, das ökologisch-sozialistische Paradies wird für die nächsten fünf Jahre nicht angekündigt. Das ist auch gut so. Denn alles andere als die Formulierung realistisch möglicher Schritte in die richtige Richtung wären am Ende wieder nur leer Versprechen und die daraus resultierenden Enttäuschungen vorprogrammiert. Als jemand, der sich irgendwo im politischen Schnittfeld der drei Mitte-Links-Parteien verortet, finde ich die Ehrlichkeit des vereinbarten sehr erfrischend und denke, wenn diese Dinge dann jetzt auch wirklich so angegangen werden ist der Stadt Berlin eindeutig mehr geholfen als mit irgendwelchen revolutionären Sonntagsreden derer, denen dieser Vertrag natürlich wahlweise nicht links genug und/oder nicht ökologisch genug ist. Mein Maßstab ist zugegebenermaßen ein simpler: Wenn ich sehe, wie Auto-Lobby, Vermieterlobby und rechte Ordnungsfanatiker aufschreien kann das geplante so falsch nicht sein.
In Zeiten, in denen sich die politische Landschaft vermeintlich unvermeidbar ins rechte und populistische Lager zu verschieben scheint gibt es mit R2G einen klaren, ehrlichen Gegenentwurf – der ja, wie es aussieht, auch von den Bürgern angenommen wird.
Berlin ist eine wachsende Stadt und das ist großartig. Das hat vor allem positive Effekte aber natürlich geht solch ein Wachstum nie schmerzfrei vonstatten. Diesen Prozess aktiv zu gestalten statt nur daneben zu stehen und es wahlweise „einfach geschehen zu lassen“ oder ewig darüber zu lamentieren, wie toll alles früher war und jede noch so kleine Veränderung im eigenen Umfeld abzulehnen – diesen Willen kann ich im Koalitionsvertrag erkennen und damit ist meine Erwartung an progressives Regieren schon ein gutes Stück erfüllt.
Ja, es wird immer welche geben, die noch mehr fordern. Polizei und Feuerwehr z.B. wünschen sich verbindliche Aussagen – entnahm ich den Nachrichten diese Woche. Ist ihr gutes Recht und gleichzeitig stellt sich die Frage, wie oft diese Gewerkschaften in den letzten Jahren so gegen den bisherigen Senat protestiert haben, die jetzt auf die Straße gehen gegen eine Regierung, die noch nicht mal im Amt ist.
Ja, ich hätte mir noch deutlichere Akzente zugunsten von ÖPNV und Fußgänger gewünscht – und weiß genau, auch dieses Thema ist stark emotional beladen. Wichtig ist, dass Bürger sehen, wie entsprechende Verschiebungen ihre eigene Lebensqualität signifikant verbessern. Es gibt genügend Städte in der Welt, die vormachen, wie dieser Prozess über Zeit und im Miteinander positiv gestaltet werden kann.
Ja, ich hätte mir mehr Wohnungsbau gewünscht. Ich mache kein Geheimnis daraus: Hier bin ich eher auf Seiten der SPD. Wer nicht will, dass Immobilienpreise weiter in die Höhe schießen, muss in einer wachsenden Stadt mehr Angebot schaffen. Für mich heißt das Verdichten, in die Höhe gehen, insbesondere im Innenstadtbereich Brachflächen nicht weiter „einfach liegen lassen“. Und ich weiß genau, dass dies nicht konfliktfrei vonstatten gehen wird, dass Besitzstände in Form vom freien Blick aufs Grüne, dem kostenlosen Parkplatz direkt vorm Haus etc. mit viel Energie verteidigt werden. Eine klare Präferenz gemeinschaftlichen Bauens und ein Fokus darauf, dass Unterstützung bei den tatsächlich Bedürftigen ankommt und am Ende nicht wieder nur Privatinvestoren reich werden vom „Sozialwohnungsbau“ – das erwarte ich und habe es so zumindest auch dem Vertrag entnommen.
Und ja, ich könnte jetzt so weiter Kapitel für Kapitel durch die Vereinbarung gehen und würde immer schön ein Körnchen nach dem anderen finden. Spare ich mir, gibt genug Miesmacher, die da mehr Spaß daran haben.
Was ich wirklich spannend und gleichsam erfrischend finde, ist, dass es den drei Parteien scheinbar wirklich gelungen ist, auf Augenhöhe miteinander sachlich zu vereinbaren, was in den nächsten 5 Jahren geschafft werden soll. Viel zu oft werden solche Verhandlungen und die daraus resultierenden „Kompromisse“ ja missbraucht, und im Nachhinein verkauft als „Wir haben gewonnen und die anderen mussten nachgeben“. In guten Verhandlungen geht es hingegen darum, für alle Beteiligten im positiven Sinne das maximal mögliche herauszuholen. Also größter statt kleinster gemeinsamer Nenner. Gleichzeitig akzeptieren alle drei offenbar – oder können das zumindest gut kommunizieren – dass es hier nicht um eine Liebesheirat geht, dass unterschiedliche Präferenzen nicht nur toleriert, sondern geschätzt werden. Die unterschiedlichen Stärken der drei Parteien werden produktiv genutzt und damit in Summe eben durch gelebte Diversität mehr erreicht als jede der drei es allein jemals könnte. In der Wirtschaft nennen wir das Teamfähigkeit und Schaffung „hochperformanter Teams“.
Vielleicht geht da mein Optimismus mit mir durch aber ich persönlich finde das ein sehr ermutigendes Zeichen und hoffe, dass neben Thüringen nun auch in Berlin gezeigt wird, dass Politik jenseits einfacher Antworten, permanentem Schlechtmachen der jeweils Anderen und mit sachlichem Fokus auf real existierende Herausforderungen noch immer funktioniert und erfolgreich sein kann. Indem diese Herausforderungen einfach mal gemeinsam abgearbeitet werden – eine nach der anderen…
Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Jahre und wünsche mir sehr, dass alle Beteiligten den Mut und die Kraft haben, den eingeschlagenen Weg zu gehen. Und dass die, die aktuell noch Bedenken haben, denen die notwendigen Veränderungen nicht schnell genug gehen sich produktiv und konstruktiv einbringen statt immer nur dagegen zu sein. Jetzt wäre die richtige Zeit dafür!